Luftschutzturm Typ „Winkel“

Der Schaltdienst befand sich im Luftschutzturm

Ein Bauwerk aus der Kriegszeit musste weichen.

Ein Bericht von Erhard Schröder

Wer in früheren Jahren den Werkshof des EW Siegerland in Siegen betrat, dem fiel das hohe, kegelförmige Bauwerk ins Auge, das die Mitte des Platzes beherrschte. Viele Besucher fragten nach dem Zweck des Turmes und lenkten die Gedanken zurück in die Zeit der Luftangriffe während des zweiten Weltkrieges. Der Bau von Bunkern und sonstigen Schutzbauwerken hatte in Siegen bereits früh einen hohen Stellenwert. Bei Kriegsende verzeichnete die Stadt – neben 6 anderen Städten – mit 75 Prozent der beschädigten Wohnungen den höchsten Zerstörungsgrad aller Orte des „Deutschen Reiches“. Dass die Zahl der Bombenopfer im Vergleich zu anderen Städten gering war, ist diesen Schutzbauten zuzuschreiben. Im Februar 1984 nun wurde der Luftschutzturm abgebrochen. Er musste den Neubauplänen weichen. Ein Anlass, auf die Entstehung und die Geschichte des Turmes zurückzublicken.

Schon 1936 wurde beim EW Siegerland über Schutzmaßnahmen für die Betriebsangehörigen gesprochen. Die Entscheidung fiel auf einen Luftschutzturm der „Bauart Winkel“. Im Oktober 1937 begannen die Ausschachtungsarbeiten, und bereits am 21. Dezember des gleichen Jahres fand das Richtfest statt.

Aus den noch aus dieser Zeit vorhandenen Unterlagen geht hervor, dass Schachtmeister und Poliere zehn Reichsmark und alle übrigen am Bau Beteiligten fünf Reichsmark Richtgeld erhielten. Der „Winkelturm“ hatte eine Gesamthöhe von 19,8 m ab Unterkante Bodenplatte. Der Durchmesser im ·unteren Teil betrug 12 m, der ‚Turm verjüngte sich dann bis zur oberen Spitze. Im Inneren befanden sich 7 Etagen zur Aufnahme von max. 247 Personen, jeder Betriebsangehörige hatte seinen festen Platz. Über den Plätzen befanden sich Regale zur Aufnahme von Luftschutzhelmen und Gasmasken. Das Bauwerk war aus Beton gegossen und mit reichlich Baustahl armiert. Im oberen Bereich betrug die Wandstärke nur 0,50 m, sie stieg dann bis auf 2,40 m im unteren Stockwerk an. Das zugrunde gelegte Bauprinzip ging davon aus, dass eine auftreffende Bombe von der Spitze abgleiten sollte, um am unteren Teil zu detonieren. 1944 wurden noch Splitterschutzwände vor den Eingängen errichtet, außerdem ein sich bogenförmig durch den Felsen hinziehender Stollen – mit 17 m mittlerem Radius und 40 m Tiefe – getrieben. 

Im Luftschutzturm fand sich noch ein „Kriegstagebuch“: drei gefüllte Ordner mit Berichten, Meldungen und Verfügungen aus den Jahren 1939 bis 1945. Die Werksluftschutz-Bezirksvertrauensstelle Siegen – so lautete damals die Bezeichnung – befand sich beim EWS; viele der Papiere sind mit dem Stempel „geheim“ versehen. Welchen Umfang der Luftkrieg 1945 angenommen hatte, zeigen z.B. die noch vorhandenen Luftlagemeldungen. Die Eintragungen eines einzigen Tages vom Januar nehmen 11 Seiten in Anspruch. Gegen Ende des Krieges war in der unteren Etage des Turmes der Schaltdienst untergebracht; von hier aus wurde der örtliche Netzbetrieb überwacht und gesteuert.

Interessant sind die Aufzeichnungen des damaligen Schaltingenieurs Karl Hermes. Unter anderem berichtet er vom Einsatz von Störballons. Als die Front im Westen vorrückte, setzten die Alliierten dieses Mittel ein, um die Stromversorgung zu unterbrechen. Es handelte sich um mit Gas gefüllte Ballons mit einem Durchmesser von etwa 8 m, an welchem ein längeres Stahlseil hing. Bei dem meist vorherrschenden Westwind und bei bestimmter Wetterlage trieben die Ballons in erstaunlich gleichmäßiger Höhe nach Osten. Das Stahlseil verursachte an den Freileitungen Kurzschlüsse und Auslösungen, wobei meist auch die Leiterseile beschädigt wurden. Betroffen waren sowohl die 220 kV-Taunusleitung als auch örtliche 50 kV- und 10 kV-Leitungen. Der Abbruch des Luftschutzturmes am 11. und 12. Februar 1984 stellte an die ausführenden Sprengmeister erhebliche Anforderungen; die Arbeiten wurden unter ständiger Aufsicht durch das Gewerbeaufsichtsamt durchgeführt. Sprengungen in acht Stufen waren erforderlich, bis der Turm schließlich als Ganzes umstürzte.