St. Clausborn

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Brunnen – Lebensadern der mittelalterlichen Stadt

In Zeiten ohne zentrale Wasserversorgung waren Brunnen das Rückgrat jeder Stadt. Auch in Siegen. Wer im Mittelalter auf dem Siegberg lebte, konnte nicht einfach den Wasserhahn aufdrehen. Das tägliche Wasser für Küche, Vieh, Handwerk und Hygiene musste mühsam von Brunnen und Quellen geschöpft werden – oft mehrmals am Tag. Öffentliche Ziehbrunnen waren daher mehr als nur Infrastrukturelemente: Sie waren Treffpunkt, Notversorgung, Lebensversicherung.

Ein besonders wichtiger Vertreter dieser Wasserspender war der St. Clausborn – auch Nikolausborn oder im Volksmund Klosborn genannt – im Herzen der Altstadt, direkt in der heutigen Oberstraße, unweit von Rathaus und Nikolaikirche.

Geschichte & Entwicklung

Die erste nachweisbare Erwähnung stammt aus dem Jahr 1467. Damals beschloss der Stadtrat, „ein getzoge zu machen uff den Born in der oberstraiße“. Gemeint war wohl eine Holzeinfassung oder mechanische Vorrichtung zum Wasserheben – ein Hinweis darauf, dass der Brunnen zu diesem Zeitpunkt bereits existierte.

Im Laufe der Jahrhunderte wurde der Clausborn mehrfach modernisiert:

  • 1596: Als „Klosbrunnen“ erstmals urkundlich erwähnt.

  • 1772: Eine Hospitalrechnung nennt das genaue Grundstück: Oberstraße 376 („Derschemanns Haus“).

  • 1839: Im Siegener Intelligenzblatt erscheint eine Ausschreibung zur Erneuerung des Brunnens. Genannt wird er dort als „St. Nicolaibrunnen“, inklusive Dach, Schieferdeckung und Zimmerarbeiten.

  • 1888/89: Der Brunnen wird schließlich verschlossen – er war nicht mehr Teil der öffentlichen Wasserversorgung.

Der Clausborn im Krieg

Während des Zweiten Weltkriegs wurde der Brunnen reaktiviert, um die Bevölkerung in den Hochbunkern der Oberstadt mit Wasser zu versorgen. Unter dem alten Namen „Klosborn“ wurde er wieder bekannt – ein stiller Helfer in dunklen Zeiten.

Eine tragische Episode ereignete sich Anfang 1945, als ein Kind beim Wasserholen in den Schacht stürzte und tödlich verunglückte. Erst nach stundenlangen Bergungsarbeiten konnte die Leiche geborgen werden. Danach wurde der Brunnen aus Sicherheitsgründen endgültig abgedeckt – mit einer heute noch sichtbaren Eisenplatte. Auf dem Bild zu sehen, ist die Gaube im Gewölbe, die von der Eisenplatte abgedeckt ist. 

„Die kommen aus dem Brunnen!“ – Kindheitslegenden rund um den Clausborn

Noch bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts erzählten sich viele Familien in der Oberstadt von Siegen eine besondere Geschichte: Babys kommen aus dem Brunnen. Genauer gesagt: aus dem Clausborn, auch „Klosborn“ genannt.

Für viele Kinder, die in der Nähe der Oberstraße aufwuchsen, war die schwere Eisenplatte im Boden nicht einfach nur ein Deckel – sie war ein magisches Tor. Wenn eine Mutter schwanger war oder plötzlich ein Baby im Haus war, dann erklärten Eltern und ältere Geschwister augenzwinkernd:

„Wir haben es aus dem Brunnen geholt.“

Diese kindliche Vorstellung ersetzte – ganz im Stil der Zeit – die oft unausgesprochene Frage nach der Herkunft des Lebens. Während andernorts der Storch bemüht wurde, übernahm in Siegen ein stiller, alter Brunnen diese Rolle. Dass der Clausborn früher tatsächlich der Wasserspender für ganze Häuserzeilen war, passte wunderbar zur Idee, dass er auch neues Leben spendete.

Noch heute erinnern sich einige ältere Siegenerinnen und Siegener mit einem Schmunzeln an diese Erzählung – ein schönes Beispiel dafür, wie Orte mit Geschichte auch Geschichten erzeugen.

Maße und Technik

Historische Quellen belegen beeindruckende Daten:

  • Der Brunnenschacht reicht bis zu 17 Meter in die Tiefe.

  • Die eigentliche Wasser führende Schicht befindet sich sogar erst in 7 bis 8 Metern Tiefe.

  • Unten ist eine birnenförmige Zisterne in den Fels gehauen – ein kleines technisches Wunderwerk.

Bis ins 20. Jahrhundert hinein war der Clausborn bekannt für seinen reichlichen Wasserfluss – vermutlich gespeist durch natürliche Druckverhältnisse im Berg.

Heute: Ein unscheinbares Denkmal – mit viel Geschichte

Wer heute durch die Oberstraße geht, läuft möglicherweise achtlos über eine eisenbeschlagene Platte im Boden – sie markiert die einstige Öffnung des Clausborns. Doch was heute wie ein Deckel wirkt, verbirgt ein Fenster in die Geschichte.

Denn dieser Ort erzählt – still und tief unter der Oberfläche – von Jahrhunderten städtischen Lebens, von Hoffnung, Not, Technik und Glauben.

Besichtigung im Rahmen von Führungen

Der Clausborn ist Teil ausgewählter Stadtführungen der Siegener Unterwelten. Bei diesen besonderen Touren tauchen Besucher in die unterirdische Geschichte der Stadt ein – und werfen auch einen exklusiven Blick auf den wohl ältesten, am besten dokumentierten Stadtbrunnen Siegens.